Samstag, 5. Juli 2014

Was ist Glauben? (Teil 1)


Elder Jeffrey R. Holland:
„Es geht nicht darum, wie groß Ihr Glaube ist oder wie viel Sie wissen – es geht darum, wie konsequent Sie an dem Glauben, den Sie bereits besitzen, und der Wahrheit, die Sie bereits kennen, festhalten.“[1]



In der Heiligen Schrift gibt es eine schöne Geschichte, die aufzeigt, was Glauben bedeutet (BI, Markus 9:14-29)[2]. Als Christ redet man oft über den Glauben. Aber was ist das?

Einmal kam Jesus auf eine streitende Menge zu. In der Menge befanden sich seine Jünger, Schriftgelehrte und ein Vater mit seinem Sohn. Jesus fragte in die Menge, warum man sich mit seinen Jüngern streiten würde. Worauf der Vater vom Jungen erzählt, dass zu seinen Jüngern gekommen sei, damit sie den Geist aus seinem besessenen Jungen austreiben könnten. Aber die Jünger schafften es nicht. Jesus hatte Erbarmen und wollte dem kleinen Jungen helfen und gleichzeitig zeigen, was es bedeutet, glauben zu haben.

Der böse Geist im Jungen sah Jesus und zehrte den Jungen hin und her, warf ihn zu Boden, ließ den Jungen auf den Boden hin und her wälzen und Schaum aus seinem Mund treten. Der Vater des Jungen muss traurig gewesen sein. Wieder sah er dieses Bild von seinem Jungen. Vielleicht spürte er den Schmerz des Jungen. Aber auf jeden Fall fühlte der Vater einen Schmerz. Der böse Geist machte, dass sein Junge ins Wasser und ins Feuer fiel. Wer weiß, welche Verletzungen der Junge noch erlitt? Die Eltern waren traurig, sie fühlten mit ihrem Kind. Er flehte Jesus an, ihn zu heilen oder ihn teilweise zu heilen. Jeder kleinste Segen wäre schon gut genug. Der Vater wusste nicht mehr weiter und flehte zu Jesus: „Doch wenn du kannst, hilf uns; hab Mitleid mit uns!“ (BI, Markus 9:22.)[2] Einerseits wollte er Hilfe von Jesus, wenigstens einen Teilsegen. Andererseits hatte er Zweifel, ob Jesus ihm helfen könnte, und wenn er ihm helfen könnte, ob er überhaupt helfen würde. Für Jesus war aber klar, dass er dem Jungen helfen würde. Jedoch wollte Jesus der Bitte dieses Vaters entsprechen, der gefleht hat: „[H]ab Mitleid mit uns!“ (BI, Markus 9:22.)

Das 'uns' in dieser Bitte ist äußerst wichtig. Der Vater wollte, dass Jesus der ganzen Familie hilft. Durch die Heilung des Jungen würden die Eltern endlich wieder zur Ruhe kommen, sie müssten nicht mehr um ihren Jungen bangen müssen. Jesus ging aber einen Schritt weiter. Er wollte auch den Glauben der einzelnen Familienmitglieder stärken. Darum sagte er zum Vater des Jungen: „Wenn du kannst? Alles kann, wer glaubt.“ (BI, Markus 9:23.) Jesus stellte den Zweifel des Vaters infrage, wies den Vater auf seine Zweifel hin und lehrte: „Dem Glaubenden ist alles möglich.“ (BI, Markus 9:23, ELB.)[3]

Die Reaktion des Vaters wird wie folgt beschrieben: „Da rief der Vater des Jungen: Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ (BI, Markus 9:24.) Der Vater rief zu Jesus, er sprach nicht, er rief! In anderen Übersetzungen heißt es, dass der Vater zu Jesus schrie (siehe BI, Markus 9:24, ELB). Überwältigt von seinen Schuldgefühlen und von seinem innigsten Wunsch, dass seinem Sohn Heilung zuteil werde, schrie er zu Jesus: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ (BI, Markus 9:24.)


Bildquelle: LDS Media Library. IRI.[*]
Ich glaube; hilf meinem Unglauben? Wie soll das gehen? Wie kann ich sagen, dass ich Glauben habe und im
gleichen Atemzug behaupten, dass meinem Unglauben geholfen werden soll? Vielleicht stellen wir uns auch diese Frage. Vielleicht denken wir, dass man entweder nur Glauben oder Unglauben haben kann. Vielleicht denken wir, dass jede Frage ein Zweifel ist, wodurch man ungläubig durch die Frage geworden ist. Aber dem ist nicht so. Glaube und Unglaube, Glaube und Zweifel können nebeneinander existieren. Und nicht jede Frage ist gleichzeitig ein Zweifel. Der Vater hatte Glauben, denn sonst wäre er ja nicht zu den Jüngern von Jesus gegangen. Er hatte Glauben, denn sonst hätte der Vater nicht Jesus angefleht, nachdem die Jünger den Geist aus dem Jungen nicht austreiben konnten. Der Vater hatte in seinem Glauben die Ermahnung Jesu angenommen und sprach im Glauben aus, dass er schon an Jesus glaubt, aber auch Zweifel hat. Der Satz des Vaters „Ich glaube; hilf meinem Unglauben“ bedeutet also, dass der Vater an seinen Glauben, den er bereits gewonnen hatte, festhielt und erkannte, dass sein Glaube aber auch beschränkt ist.

Elder Jeffrey R. Holland hat über dieses Ereignis in der Schrift Folgendes gesagt:
„Jeder, der sich mehr Glauben wünscht, sollte an diesen Mann denken! Wenn Angst, Zweifel und schwierige Zeiten hereinbrechen, hält man das Gelände, das man bereits eingenommen hat, auch wenn es begrenzt ist. Da wir alle im Erdendasein Fortschritt machen müssen, wird jeder auf geistiger Ebene so etwas wie die Not dieses Jungen oder die Verzweiflung dieses Vaters erfahren müssen. Wenn diese Zeit kommt und Probleme auftreten, deren Lösung sich nicht unmittelbar aufdrängt, halten Sie an dem fest, was Sie schon wissen, und bleiben Sie standhaft, bis Sie weitere Erkenntnis erlangen. Genau über diesen Vorfall, dieses konkrete Wunder, hat Jesus gesagt: 'Wenn euer Glaube auch nur so groß ist wie ein Senfkorn, dann werdet ihr zu diesem Berg sagen: Rück von hier nach dort!, und er wird wegrücken. Nichts wird euch unmöglich sein.' [Matthäus 17:20.] Es geht nicht darum, wie groß Ihr Glaube ist oder wie viel Sie wissen – es geht darum, wie konsequent Sie an dem Glauben, den Sie bereits besitzen, und der Wahrheit, die Sie bereits kennen, festhalten.

Die zweite Beobachtung ist eine Variation der ersten. Wenn Probleme und Fragen aufkommen, beginnen Sie Ihr Bemühen um Glauben nicht damit, dass Sie überlegen, was Sie nicht haben – also bei Ihrem „Unglauben“. […] Ich möchte das ganz deutlich machen: Ich bitte Sie nicht, Glauben vorzutäuschen, den Sie nicht haben. Worum ich Sie aber bitte, ist, dass Sie dem Glauben, den Sie haben, treu sind. Manchmal verhalten wir uns so, als zeige der ehrliche Ausdruck von Zweifel größeren sittlichen Mut als der ehrliche Ausdruck von Glauben. Das stimmt nicht! Behalten wir doch lieber die unmissverständliche Botschaft dieses biblischen Berichts im Kopf: Man muss Fragen, die man hat, so offen wie nötig vorbringen, denn das Leben steckt voller Fragen zu verschiedenen Themen. Aber wenn Sie und Ihre Familie geheilt werden wollen, dürfen diese Fragen nicht dem Glauben im Weg stehen, der Wunder bewirkt. […]

Und die letzte Beobachtung: Scheuen Sie sich bei Zweifeln oder Schwierigkeiten nicht, um Hilfe zu bitten. Wenn wir voller Demut und Ehrlichkeit wie dieser Vater darum bitten, können wir sie erhalten. In den Schriften wird so ein aufrichtiger Wunsch als wirklicher Vorsatz bezeichnet, dem mit voller Herzensabsicht und ohne Heuchelei und Täuschung vor Gott nachgegangen wird. [Siehe 2 Nephi 31:13.] Ich bezeuge: Wenn wir Gott auf solche Weise bestürmen, wird er stets von beiden Seiten des Schleiers Hilfe schicken, um unseren Glauben zu stärken.“[1]

Pr. Boyd K. Packer hat über den Glauben gesagt:
„Damit der Glaube ein Glaube ist, muss er sich auf etwas ausrichten, das nicht bekannt ist (that is not known). Damit der Glaube ein Glaube ist, muss er über das hinausgehen, was über Beweise bestätigt wird. Damit Glaube ein Glaube ist, muss er in das Ungewisse hineingehen. Damit der Glaube ein Glaube ist, muss er bis zum Rand des Lichts gehen und dann ein paar Schritte in die Dunkelheit hinein.“[4]


Hier erkenne ich für mich, was Glauben ist. Glauben heißt, dass man an seinem Glauben festhält, auch wenn Zweifel kommen. Glauben heißt, dass man nicht alles versteht, dass man zeitweise im Dunkeln steht. Glaube hat mit Demut, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit zu tun. Glaube bewirkt Wunder, wenn unsere Zweifel nicht die Priorität einnehmen.




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Fußnoten

1 Elder Jeffrey R. Holland: „Ich glaube“. In: Generalkonferenz der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, April 2013. https://www.lds.org/general-conference/2013/04/lord-i-believe?lang=deu, 2014-07-03, 22:55. Der Inhalt der jeweiligen, im Zitat enthaltenen Fußnote wurde in eckigen Klammern [] eingeführt, ausgenommen die Auslassungszeichen […].

2 Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Stuttgart 1980: Katholische Bibelanstalt. http://www.bibleserver.com/start, 2014-07-03. Falls nicht anders vermerkt, sind alle Schriftstellen aus der Bibel [abgekürzt: BI] in diesem Beitrag von derselben Quelle und vom selben Tag.

3 Revidierte Elberfelder Bibel (Rev. 26), Witten 1985/1991/2008 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH&Co. KG. http://www.bibleserver.com/start, 2014-07-03. Die Bibelschriftstellen [abgekürzt: BI] aus der Elberfelderübersetzung wurden mit dem Kürzel ELB versehen und wurden von derselben Quelle und vom selben Tag entnommen.

4 Präsident Boyd K. Packer: “What Is Faith?” In: Faith, Deseret Book Company 1983, p. 42. Aus: Elder Larry W. Gibbons: A Time for Faith, Not Fear. In: Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Ed.): Ensign, July 2013. https://www.lds.org/ensign/2013/07/a-time-for-faith-not-fear?lang=eng, 2014-07-03, 22:43. Übersetzung aus dem Englischen von Rocky.

* Bildquelle: LDS Media Library. Intellectual Reserve, Inc. https://www.lds.org/media-library/images/jungle-pathway-766164?lang=eng&category=, 2014-07-05, 00:32.

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